Immer mehr Kennzahlen, immer detailliertere Berichte, unzählige Dashboards… und trotzdem bleibt eine entscheidende Frage: Haben Verwaltungsrat und Geschäftsleitung wirklich dieselbe Vorstellung von Erfolg?
Zwischen finanziellen KPI, qualitativen Erwartungen, Zielkonflikten und strategischer Intuition zeigt dieser Beitrag, warum eine bewusst zugelassene Unschärfe zu einer realistischeren, differenzierteren und besser steuerbaren Gesamtbeurteilung der Unternehmensleistung führen kann.
Einleitung: Wenn Zahlen stimmen – aber das Gefühl nicht
VR-Mitglieder kennen das: In den Sitzungen sehen die Resultate auf dem Papier oft «gut» aus. Die KPI sind erfüllt, Abweichungen unter Kontrolle, die Grafiken beruhigend. Und dennoch bleibt manchmal ein ungutes Gefühl: Die «gefühlte» Performance passt nicht zur «gemessenen».
Warum? Weil die Definition von Erfolg oft überladen, zersplittert und widersprüchlich ist.
Zwischen operativen Zielen, ESG-Vorgaben, Kundenzufriedenheit, interner Stimmung, finanzieller Rentabilität und gesellschaftlichem Impact gehen die Meinungen auseinander, Gewichtungen sind willkürlich und Diskussionen verlaufen sich in Tabellen.
Vielleicht liegt genau hier das Problem: zu viel Vertrauen in die Präzision von Zahlen und zu wenig Raum für qualitative Nuancen.
In den 1990er-Jahren war Erfolg einfach: «Wenn der Aktionär zufrieden ist, ist alles gut.» Diese Ausrichtung auf den Shareholder Value führte zu stark finanzlastigen Steuerungsmodellen, die jedoch häufig von langfristigen Herausforderungen abgekoppelt waren.
Heute, nach wirtschaftlichen, klimatischen und sozialen Krisen, ist Erfolg vielschichtig.
Er bemisst sich an:
- der Kundenzufriedenheit
- dem Engagement der Mitarbeitenden
- dem gesellschaftlichen Beitrag
- der Nachhaltigkeit des Geschäftsmodells
- der organisatorischen Resilienz
- und natürlich… den finanziellen Ergebnissen
Diese Fülle an Indikatoren spiegelt die Realität wider, bringt aber auch Spannungen und Widersprüche mit sich.
Für Klarheit braucht es die klare Trennung zwischen zwei Arten von Kennzahlen:
a) Performance-KPI
Logik: «Je höher, desto besser». Beispiele:
- Umsatz
- EBIT (Ergebnis vor Zinsen und Steuern)
- operative Marge
- wirtschaftliche Wertschöpfung
Diese Kennzahlen sind wichtig, werden aber oft von Marktbedingungen oder externen Faktoren beeinflusst.
b) Rahmen-KPI
Definieren akzeptable Funktionsbereiche: Personalfluktuation zwischen 5 % und 15 %, ESG-Investitionen ab 1 % des Umsatzes, maximale Verschuldung usw.
Logik: nicht «je höher, desto besser», sondern «je stabiler, desto besser».
Merken:
- Wer beide Arten vermischt, analysiert falsch.
- Rahmen-KPI werden überwacht, nicht optimiert.
- Sie beeinflussen die Gesamtleistung, sind aber kein Ziel an sich.
Viele Unternehmen versuchen, die Vielzahl an KPI mit mathematischer Gewichtung zu steuern: 40 % Rentabilität, 30 % Kundenzufriedenheit, 20 % Nachhaltigkeit usw.
Das klingt objektiv, hat aber klare Schwächen:
- Konfliktfelder werden überdeckt
- Starre Prioritäten für dynamische Themen
- Strategische Diskussion wird durch reines Punkteaddieren ersetzt
Zu vermeiden:
- Die trügerische Objektivität gewichteter Durchschnitte
- Automatisches Steuern über Scores
Das Qualitäts-Dashboard bietet einen Weg aus der KPI-Sackgasse. Es:
- strukturiert Diskussionen
- integriert qualitative Faktoren
- zeigt Stärken und Schwächen sichtbar, ohne sie auf Noten zu reduzieren
So setzen Sie es um:
- 5–6 Hauptthemen definieren: Strategie, Innovation, Kunden, Mitarbeitende, Bilanz, Nachhaltigkeit
- Kernaspekte zuordnen: z. B. Kundenzufriedenheit, HR-Engagement, Verschuldung
- Realistische, nicht überquantifizierte Ziele setzen
- Visuell positionieren auf einer Farbskala (rot bis grün) – ohne Note oder automatischen Score
Diese kontrollierte Unschärfe stärkt den strategischen Dialog, vermeidet Streit um Nachkommastellen und bringt den Fokus zurück auf die Substanz.
Das Qualitäts-Dashboard funktioniert nur, wenn man bewusst auf Folgendes verzichtet:
1. Überpräzise Bewertungen
Kein Scoring, keine Note – nur eine Orientierung, die Gespräch statt Stillstand fördert.
2. Starre Gewichtungen
Jeder Bereich ist situativ wichtig. Keine künstliche Rangfolge, sondern flexible Betrachtung.
3. Automatische Konsequenzen
Ein «rotes» Feld ist kein Alarmknopf, sondern eine Einladung zur Analyse.
Fazit: Weniger Fixierung auf Zahlen, mehr Raum für strategisches Urteil
In der VR-Praxis wird Performance oft von zu vielen Kennzahlen erdrückt. Zu viel Messen, zu wenig strategischer Abstand.
Performance ist kein Block, sondern ein Gleichgewicht zwischen Resultaten und Rahmenbedingungen, zwischen harten Zahlen und qualitativen Signalen. Vor allem ist sie ein gemeinsames Urteil, das im Dialog zwischen GL und VR entsteht.
Wer alles objektivieren, scoren und ranken will, vereinfacht komplexe Realitäten. Das führt zu Zielkonflikten, Unklarheit und schwächerer Governance.
Besser: Performance-KPI (Resultate) und Rahmen-KPI (Bedingungen) klar trennen – und ein Qualitäts-Dashboard nutzen.
Dieses Modell:
- verbindet Messbarkeit mit strategischem Dialog
- bricht Silos in der Leistungsbeurteilung auf
- zeigt Hebel zur Verbesserung
- ermöglicht Entscheidungen, die näher an der Realität sind
Es verlangt Mut:
- zur Abkehr von Scheingenauigkeit
- zur Ablehnung starrer Gewichtungen
- zur Vermeidung automatischer Reaktionen
- und zur Akzeptanz, dass Performance auch auf Wahrnehmung, Intuition und gesundem Menschenverstand beruht
Der Gewinn: ein VR mit mehr strategischem Spielraum, höherer Kohärenz und besserer Anpassungsfähigkeit an die Komplexität von heute.
Das Wichtigste auf einen Blick
- Klare Trennung von Performance-KPI (messbare Resultate) und Rahmen-KPI (strukturelle Variablen) als Basis für eine vollständige Leistungsdiskussion
- Rahmen-KPI ermöglichen eine weniger konfliktreiche, auch qualitative Betrachtung
- Das Qualitäts-Dashboard ist ein starkes Instrument für den strategischen Dialog, ohne in binäre Logik zu verfallen
- Mut zur Abkehr von reiner Zahlenlogik – für eine klarere, menschlichere und reifere Sicht auf die Gesamtleistung